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Nachhaltigkeit und Logistik – CO2-Bullshitbingo: Ein Aufklärungsversuch

Timo Landener

Blogpost 4 von 4: Die diversen Blickwinkel auf die CO2-Fußabdrücke Teil 2 (Ebene: Unternehmen und Nation).

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In a nutshell: Letzter Teil der 4-teiligen Blogpostserie zum CO2-Bullshitbingo. Wir haben es also bald geschafft. Nur noch ein paar Sätze und Wörter durcharbeiten. Knapp 8 Minuten Lesezeit. Wir wollen weiter die Argumente „Aber die Chinesen…“ oder „Deutschland ist nur für 2% der weltweiten Emissionen verantwortlich. Und wir sollen die Welt retten?“ entmystifizieren. Denn (und auch im vierten Teil wiederhole ich es gerne, weil es so immens wichtig ist): Es ist kein Diskurs mehr möglich, wenn wir mehr über die Existenz von Fakten diskutieren als über deren Bedeutung. Menschen hatten schon immer unterschiedliche Ansichten. Heute haben sie unterschiedliche Tatsachen. Aber ohne eine von allen geteilte Realität lassen sich keine zielführenden kollektiven Entscheidungen treffen. Rein also in die unterschiedlichen CO2-Fußabdrücke. Im 3. Teil ging es noch um das Individuum, im letzten Teil wird es um das Unternehmen und die Nation(en) gehen. 

Info: Aufgrund der Komplexität des Themas habe ich mich dazu entschlossen, den Blog in vier Teile aufzuteilen: 

Dieser Text ist ein wenig komisch für mich. Es geht hier um Klimawissenschaft. Insofern basieren alle Fakten und die meisten Beschreibungen auf den Quellen. Ich habe zwar hier und da natürlich etwas hinzugefügt oder textuell geändert, aber im Grunde habe ich nur die Textpassagen zusammengepuzzelt. Wenn du den Text also hammermäßig findest: Kudos an die Quellen. 

Das Unternehmen – Sind die Ölfirmen die Schuldigen? 

Wir kommen also nun zu einem weiteren Elefanten im Raum. Spoiler: Und auch hier kann es emotional werden. Lasst also auch hier die Mistgabeln im Schrank, denn es ist komplexer als es auf den ersten Blick erscheint.  

Nur 100 Unternehmen sind seit 1988 für mehr als 70% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Wenig verwunderlich: ExxonMobil, Shell, BP und Chevron zählen seit 1988 zu den Unternehmen im Besitz von Investoren mit den höchsten Emissionen. [1]  

Quelle: CDP Report [2] / EJ/CJ Digi Hub [13]

Die Liste bietet auch eine weitere interessante Erkenntnis. Ein Fünftel der weltweiten industriellen Treibhausgasemissionen wird durch öffentliche Investitionen finanziert. Zehn Banken, Finanzdienstleister und Staaten besitzen gemeinsam die Rechte an fast 50% aller fossilen Brennstoffreserven im Privatsektor. [3] 

Quelle: Eigene Darstellung basierend auf [3] 

OK, krass. Aber Obacht! Die Studie inkludiert die Scope 3 Emissionen, was bedeutet, dass Hersteller fossiler Brennstoffe für alle Emissionen von der Gewinnung bis zur Nutzung und Verbrennung verantwortlich gemacht werden. Also auch unseren Konsum. Wir können und sollten nicht die kognitive Abkürzung nehmen, und all die Emissionen aus der fossilen Verbrennung diesen Unternehmen zuschustern, damit wir den Schuldigen der Klimakrise gefunden haben. Mit einem Antagonisten lässt es sich leichter fingerpointen, aber nicht wirklich was ändern. Für uns gilt: Mitgehangen mitgefangen. 

Eine ganz andere Frage in diesem Zusammenhang ist – welcher ich in einem weiteren Blogpost nachgehen werde –, wie viel Einfluss ebendiese Institutionen, Firmen, Investoren, etc. durch professionell aufgebauten und weltweit vernetzten Lobbyismus an dem Verhindern von Klimaschutzpolitik hatten. Erstaunlicherweise decken sich die Listen der Lobbyisten mit denen des CDP-Reports in einem sehr hohen Maße. Und das ist der eigentliche Skandal hinter den Aussagen des Reports. 

Der Bericht von CDP war aber in einem sehr klar und alarmierend, und zwar im Hinblick auf die Risiken, die mit der ununterbrochenen Ausweitung der Gewinnung fossiler Brennstoffe verbunden sind: Um es mit den Worten von Christian Stöcker zu sagen: Wir müssen aufhören die Welt zu verbrennen. [3]  

Die Nation – „Aber die Chinesen…“ oder auch „Was können wir als Deutschland schon ausrichten“? 

OK. Hier sind wir im Epizentrum der klimapolitischen Diskussion. Vor allem in der Argumentation derer, die der Klima- und Umweltpolitik wenig Priorität zuordnen. Hier werden dann Argumente herangezogen, die die Wichtigkeit der nationalen Klimapolitik diskreditieren und als Strohhalm-Effekte brandmarken, weil im Kontext der Welt der Einfluss einer Nation geringfügig sei. DAS Argument, welches seit Jahren seitens spezieller Interessengruppen immer wieder durchs Dorf gepeitscht wird. Und erstaunlicherweise immer wieder verfängt. Schauen wir uns das mal genauer an. 

Wenn es um nationale Emissionen geht, gibt es sehr viele Perspektiven. Absolut, gesamt-prozentual, pro Kopf, konsumorientiert, und – als (wichtige) Sonderstellung – die historischen Emissionen. Dies sind nur ein paar Perspektiven, aus meiner Sicht die wichtigsten. 

Fangen wir mit den territorialen Emissionen, den CO2-Emissionen nach Ländern, an. China, Indien und die USA sind die weltweit größten Emittenten, die im Jahr 2021 für 52% des weltweiten CO2 verantwortlich waren. China ist hierbei der Spitzenreiter mit ca. 30% (das sind ungefähr irgendwas zwischen 10 und 14 Gigatonnen: 12,3 Gigatonnen lt. CarbonBrief). [6] Deutschland liegt mit 1,8% ziemlich weit hinter China. [4] Diese statistische Betrachtung ist auch der Nährboden für das „Aber China“-Argument. 

Quelle: Visual Capitalist [4] 

China, Indien und die USA sind aber auch bevölkerungsmäßig die größten. Und das ist deswegen wichtig, weil wir im gleichen Atemzug zu den CO2-Emissionen pro Land uns die CO2-Emissionen pro Kopf pro Land (in Tonnen) anschauen sollten. Ein Blick kann der Gesamtgeschichte Nuancen verleihen. 

Quelle: Visual Capitalist [5] 

Denn hier liegen die USA mit knapp 14,4 Tonnen pro Jahr relativ hoch, während China und Indien mit 7,1 bzw. 1,7 schlechter abschneiden. Spitzenreiter in dieser Liste sind die ölproduzierenden Länder im Nahen Osten: Bahrain, Oman, Kuwait, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate zusammen (19,5) und Saudi-Arabien (14,5). Aber auch Kanada (15,2), Australien und Neuseeland (13,6) und Russland (11,4) sind mit hohen pro Kopf Emissionen in Tonnen prominent in der Liste vertreten. Alle diese Zahlen sind mehr als dreimal höher als der weltweite Durchschnitt, der im Jahr 2019 bei 4,4 Tonnen pro Kopf lag. [5] 

Übrigens: Es ist davon auszugehen, dass angesichts ihrer enormen Bevölkerungszahl und der Tatsache, dass Länder ihre Emissionen in der Regel mit zunehmender Entwicklung erhöhen (die sogenannte „Middle-Class-Wave“: prosperierende Gesellschaften entwickeln eine größere Mittelschicht, die konsumieren will), China und Indien ihren Anteil noch weiter steigern werden. 

Aber wo sind eigentlich die Europäer? 

Etwas weiter hinten. Aber warum? Wir müssen uns zusätzlich noch die Energiequellen und CO2-Emissionen pro Kopf anschauen. Man sollte eigentlich davon ausgehen, dass ein enger Zusammenhang zwischen Wohlstand und CO2-Emissionen pro Kopf besteht. Länder mit einem hohen Lebensstandard sollten einen hohen CO2-Fußabdruck haben. Ergo müsste doch Europa relativ weit oben auf der Liste stehen. Aber viele Länder in ganz Europa haben viel geringere Emissionen als die USA, Kanada oder Australien, denn die Wahl der Energiequellen spielt schon heute eine entscheidende Rolle. In vielen europäischen Ländern kommt der Strom zu einem nicht zu verachtenden Teil aus den erneuerbaren Energiequellen (Hinweis: Atomarer Strom ist hier eingerechnet), was sehr stark die pro Kopf Emissionen senkt. 

Das sind alles Emissionen, die auf nationaler Ebene entstehen. Wenn wir uns fragen, warum und wofür diese Länder emittieren, dann entsteht auch wiederum ein neues Bild. Länder mit hohem Einkommen haben seit den 1980er Jahren einen Großteil ihrer Industrieproduktion in ärmere Länder des globalen Südens verlagert, um von billigen Arbeitskräften und Ressourcen zu profitieren. Die Produkte werden dort gefertigt und dann wiederum von dort aus exportiert in die vermeintlichen Industrieländer. Wenn wir diese Emissionen inkludieren wollen, dann müssen wir uns verbrauchsabhängigen CO2-Emissionen anschauen, denn im Unterschied zu den territorialen Emissionen werden die bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstehenden Emissionen nach dem Ort ihres Verbrauchs und nicht nach dem Ort, an dem sie hergestellt wurden, zugeordnet.

Quelle: Our World in Data [9] / Our World in Data [10] 

Hier ergibt sich das Bild, dass die europäischen Emissionen nicht nur deshalb sinken, weil Europa die erneuerbaren Energiequellen weiter ausbaut, sondern die Produktionsstätten über Jahre ausgelagert worden sind. Denn bei den konsumabhängigen Emissionen liegt Europa – und vor allem auch Deutschland – vor China. Nicht in absoluten Zahlen, sondern in den pro Kopf Statistiken. Mal ganz abgesehen von den absoluten Spitzenreiterstellungen der Ölländer im Nahen Osten und der USA. Für das Klima bedeutet das: Keine Änderung, denn „linke Tasche – rechte Tasche“. Für die europäischen Statistiken bedeutet das: Dekarbonisierung im vollen Gange.  

Die globalen Emissionen, die auf die lokale Verbrauchernachfrage zurückzuführen sind, sind mehr als doppelt so hoch wie die lokal produzierten Emissionen. [8] 

Konsumabhängige Emissionen sind aber kein Ersatz für ein territoriales Treibhausgasinventar. Vielmehr sollten die beiden zusammen verwendet werden. 

Die Nation – Ein Blick in die Geschichte und die historische Verantwortung der Länder 

Im Hinblick auf eine Klimakatastrophe kommt es auf das in der Atmosphäre gespeicherte Kohlendioxid an und nicht auf die jährlichen Kohlenstoffflüsse. Was wir uns also auch noch zusätzlich ansehen müssen, sind die historischen Emissionen jedes Landes. 

Die Abbildung unten zeigt die historischen Emissionen, die über den national gerechten Anteil der 350-ppm-Grenze hinausgehen (territoriale Emissionen von 1850–1969, verbrauchsbasierte Emissionen von 1970–2015). [7] 

Quelle: Jason Hickel [7] 

Die USA sind allein für nicht weniger als 40% der weltweiten Überschreitungsemissionen und für 29% ist die EU verantwortlich. Zusammen mit dem Rest Europas sowie Kanada, Japan und Australien haben die Länder des globalen Nordens (die nur 19% der Weltbevölkerung ausmachen) 92% zur Überschreitung der Emissionen beigetragen. Im Vergleich dazu trugen die gesamten Kontinente Lateinamerika, Afrika sowie Asien inkl. dem Nahen Osten zusammen nur 8% bei. Und diese 8% wiederum kommen nur aus wenigen Ländern. In diesen 8% befindet sich auch die Gesamtemissionslast Chinas, dem – wie oben bereits dargestellt – weltgrößten Emittenten pro Jahr heutzutage. Allein diese historische Verantwortung des Globalen Nordens entkräftet jedes „Aber China…“-Argument. 

 Fazit

Der CO2-Fußabdruck ist ein gutes Beispiel für das Verständnis verschiedener Leseperspektiven. Emissionen können dem Produktkonsumenten, dem Unternehmen oder den Investoren zugeschrieben werden. Jede Perspektive hat ihre Vorteile und Grenzen, kann sich ergänzen und je nach Situation sind einige aussagekräftiger als andere. Den Überblick zu bewahren und dabei das systemische Denken nicht aus den Augen zu verlieren, ist eine Herkules-Aufgabe. 

Denn es stimmt: Jeder von uns emittiert CO2. Und doch liegt die entscheidende Lösungsebene für das Problem nicht nur im individuellen, sondern eben auch im unternehmerischen und politischen.  

Nach dem Motto „Ich kann das Klima nicht allein retten“ wird die Verantwortung für Lösungen auf andere Akteure oder in die Zukunft verlagert. Das ist natürlich wahr und doch wiederum grundsätzlich falsch, denn das Problem des Klimawandels ergibt sich auch aus den akkumulierten Konsumentscheidungen und dem politischen Willen des reicheren Teils der Weltbevölkerung. [11] 

Diejenigen, die aufgrund ihrer ressourcenintensiven Entwicklung in der Vergangenheit heute das Vermögen haben – auch im Sinne der Befähigung –, mehr zu tun, müssen es auch tun. Denn den anderen steht diese einfache Entwicklung durch massive Extraktion nicht mehr offen. [12] 

Abschließen möchte ich mit dem Gedanken, dass es natürlich ein langwieriger Transformationsprozess ist, der nicht wie eine Schalterstellung funktioniert, sondern eher wie ein Dimmer. Und wir dürfen dabei nicht vergessen, dass ein Großteil der Menschheit nicht in dem Wohlstand lebt, den wir im Vergleich dazu genießen dürfen. Und vielleicht müssen wir die Armen erst weniger arm machen, bevor wir gemeinsam mit ihnen die Natur und das Klima schützen können. Denn zur traurigen Wahrheit gehört nämlich auch, dass Wohlstand Stand heute über billige, verfügbare, also momentan fossile Energien ermöglicht werden kann.  

 

Hast du einen Fehler entdeckt? Dann schreibe mir gerne! Ich bin jederzeit dazu bereit einen Fehler zu korrigieren und darauf hinzuweisen, dass ich etwas korrigiert habe. Ich bin kein ausgebildeter Journalist. Meine Recherchen können nicht so professionell sein wie bei einem Artikel. Neben dem Schreiben eines Blogposts, arbeite ich 40 Stunden regulär bei meinem Arbeitgeber. Ich bitte dies zu berücksichtigen.  

Quellen 

 

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Autor*in

Timo Landener

Timo Landener arbeitet seit mehr als 20 Jahren im logistischen Bereich, hauptsächlich in der Intralogistik. Und seit er angefangen hat, ist viel passiert, und natürlich hat auch er sich weiterentwickelt. Anfangs interessierte er sich (fast) ausschließlich für die Digitalisierung und Automatisierung logistischer Prozesse. Über die Jahre hat er so ziemlich jede Rolle in dieser Hinsicht ausgefüllt. Von Beratung und Systemdesign über Projektmanagement bis hin zu Produktmanagement und Personalmanagement. Seit dem 01.09.2024 ist er bei der Körber als Innovation Manager (+Sustainability) tätig. Über die letzten Jahre hat er zunehmend eine Expertise im Bereich der Nachhaltigkeit und den daraus resultierenden Fragestellungen für die Logistik aufgebaut. Dieses thematisiert er zusammen mit Moritz Petersen als Host des Podcast „Das Gleiche in Grün“.


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