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Nachhaltigkeit und Logistik - Der Wert der Logistik

Timo Landener

Was ist der gesellschaftliche Wert der Logistik? Und warum ist es wichtig sich diese Frage zu stellen.

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In a nutshell: Die Branche verspürt großen Druck von außen, künftig ökonomischer, sozialer und auch im Hinblick auf Umweltaspekte nachhaltiger zu agieren. Und wenn Nachhaltigkeit das Ziel ist, müsste sich einiges in der Logistik grundlegend ändern. Aber das ist nicht so leicht. In mehreren Blog-Einträgen möchte ich dem Status, den Herausforderungen und den Möglichkeiten auf den Grund gehen. Starten möchte ich heute mit einer einfach klingenden, aber nicht so einfach zu beantwortenden Frage: Was ist der (gesellschaftliche) Wert der Logistik? 

 

Die Entfremdung von den Wertschöpfungsketten – Ein Globalisierungs-Phänomen 

Heutzutage ist es so, dass wir meist nur den letzten zwei oder drei Kausalitätsschritten der Wertschöpfungs- und Lieferketten folgen, was uns zwangsläufig von vielen Dingen und Erfahrungen abkoppelt und zu einem Disconnect führt. Das Kaufen in Geschäften oder auf digitalen Plattformen ist für uns der Ursprung, die erste Berührung mit den Produkten. Woher Waren kommen, wie sie hergestellt wurden, wie sie transportiert wurden, davon haben wir uns in einer globalisierten Welt mehr und mehr gelöst. Paradoxerweise verbinden wir aber immer noch den Wert eines Produktes fast ausschließlich nur mit seiner Herstellung. Das merken wir insbesondere immer dann, wenn eine nationale Schlüsselindustrie wankt. Es geht ja schließlich um die Arbeitsplätze. Auch hier haben wir uns mittlerweile disconnected. Denn wir blenden oftmals aus, wie Unternehmen sich über die Jahre strategisch in einer globalisierten Welt aufgestellt haben, teilweise drastisch entkoppelt vom Heimatmarkt und -arbeitsmarkt. So geht Globalisierung. Wir brauchen also eine holistische Auseinandersetzung mit der Welt, wie wir sie sehen, und ein Verständnis für deren Interdependenzen – alles hängt mit allem zusammen, mit einer einhergehenden Entkopplung. Es ist das Leben in und das Streben nach dynamischem Equilibrium. Um zu verstehen, wie Nachhaltigkeit und Logistik für die Transformation zusammenspielen können, müssen wir uns also die Frage stellen, welchen (gesellschaftlichen) Wert die Logistik hat. 

 

Logistik und Handel als Grundstein einer resilienten Prosperität 

Die Frage nach dem gesellschaftlichen Wert der Logistik ist eine schwierige Frage. Zumindest findet sie in der Öffentlichkeit nicht wirklich statt. Jeder Logistiker hat mit Sicherheit eine Antwort da drauf. Aber schauen wir mal in die Geschichte. Laut Jared Diamond – einem berühmten US-amerikanischen Evolutionsbiologen, Physiologen und Biogeographen – gibt es 5 Gründe, warum Kulturen wie beispielsweis die Maya, die Osterinseln oder die Anasazi in der Vergangenheit zusammengebrochen und von der Bildfläche verschwunden sind (von denen einige – mitunter alle – in manchen Untergangsbeispielen eng miteinander verwoben sind): 

  1. (Lokale) Umweltkatastrophen 
  2. (Lokaler) Klimawandel 
  3. Feindliche Nachbarn 
  4. 1 und 2 bei freundlichen Nachbarn – zu große Abhängigkeit vom Handel 
  5. Kulturelle Reaktion auf eine Krise 

Punkt 3 und 4 sind für den Handel und die Logistik interessant. Früher war die Welt nicht so vernetzt und globalisiert wie heute und außerdem dünner besiedelt. Kulturen lebten lange Zeit für sich selbst, teilweise ohne Kontakt zu anderen Völkern. Wenn Gesellschaften jedoch Kontakt zu anderen Kulturen hatten, war ihre Beziehung untereinander von entscheidender Bedeutung. 

Die meisten Gesellschaften unterhielten chronisch feindselige Beziehungen zu einigen ihrer Nachbarn. Wenn die Gesellschaft aus Umweltgründen, beispielsweise durch anhaltende Dürreperioden, oder aus anderen Gründen geschwächt war, war es sehr wahrscheinlich, dass der Nachbar die Situation ausnutzen würde. Daher war es nicht ungewöhnlich, dass in einer solchen Schwächephase eine ganze Kultur getötet oder annektiert wurde. 

Wichtiger für den Wohlstand sind jedoch Beziehungen zu befreundeten Nachbarn. Unabhängig von der tatsächlichen Größe einer Zivilisation konnte sich eine expandierende Bevölkerung dann irgendwann nicht mehr selbst ernähren. Teilweise wurden diese Zivilisationen dann durch weiter entfernte Satellitensiedlungen unterstützt, was im Kleinen das ist, was wir heute als Globalisierung kennen. Gerade in Krisenzeiten oder eben nach einer Bevölkerungsexplosion (und der damit verbundenen quantitativen Erhöhung der Grundversorgung) ist es wichtig, die zum Überleben notwendigen Ressourcen durch Handel zu beschaffen. 

Fast alle Gesellschaften waren und sind auf den Handel mit benachbarten und befreundeten Gesellschaften angewiesen, und wenn eine dieser befreundeten Gesellschaften selbst in Umweltprobleme geraten ist und aus Umweltgründen zusammenbrach, dann hat dieser Zusammenbruch mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit ihre Handelspartner ebenfalls getroffen. In der heutigen Zeit haben wir ebenfalls feststellen müssen, dass abhängiger Handel nicht resilient und äußerst fragil ist

Dabei bedeutet Handel letztlich immer auch Logistik. Neben dem Wohlstand einer Gesellschaft war und ist der Handel, einschließlich der Logistik, die Versicherung der Kulturen, in Krisenzeiten resilient reagieren zu können. Ohne Handel und Logistik wäre eine wohlhabende Gesellschaft nicht möglich. Heutzutage teilen alle Nationen der Welt durch Globalisierung, internationalen Handel, Flugreisen und das Internet die Ressourcen und beeinflussen sich gegenseitig. 

 

Wir leben in einer Gesellschaft, in der der soziale Wert einer Arbeit normalerweise umgekehrt proportional zu seinem wirtschaftlichen Wert ist. 

Die gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz der Logistik als Motor für Versorgung, Fortschritt und letztlich Wohlstand ist nahezu nicht vorhanden. Logistik spielt in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Rolle. Dies spiegelt sich letztlich in den Löhnen der Logistiker, aber auch in den Margen der Logistikunternehmen und auch in der Innovationskraft der gesamten Branche wider. Zumindest im Vergleich zu anderen Branchen. 

Systemrelevanz im Zusammenhang mit Berufen und Branchen haben wir während der Pandemie oft gehört, wenn es um Pflegepersonal, Reinigungskräfte, Supermarktmitarbeiter etc. ging. Absolut berechtigt. Logistik wurde nur am Rande erwähnt, etwa wenn die Regale in den Supermärkten leer waren. Oder als es in Großbritannien im Zuge des Brexits zu einem großflächigen Mangel an Lkw-Fahrern kam. Der Logistik kann also eine gewisse Systemrelevanz nicht abgesprochen werden

Es gibt eine interessante Parallele zu den während der Pandemie identifizierten systemrelevanten Berufen und den Logistik- bzw. Logistikberufen: Wir leben in einer Gesellschaft, in der der soziale Wert einer Arbeit normalerweise umgekehrt proportional zu seinem wirtschaftlichen Wert ist. Mit anderen Worten: Je mehr ein Job jemand anderem nützt, desto weniger wird er bezahlt. Und das hat die Logistik mit vielen anderen Berufen, wie die oben erwähnten, gemein. Folgt man diesem Muster, könnte man zu dem Schluss kommen, dass die Logistik einen höheren gesellschaftlichen Wert hat, als ihr zugeschrieben wird. 

Das gilt dann auch für die Vergütung. In den Köpfen der Menschen findet Wertschöpfung fälschlicherweise nur dort statt, wo produziert wird, wo etwas mit den Händen zusammengebaut und geschaffen wird. Wir ignorieren den Transport von Dingen völlig, obwohl es sich um eine Dienstleistung von allgemeinem Interesse handelt. Logistik ist eine öffentliche Dienstleistung. Unser Wohlstand basiert auf unserer Fähigkeit, Güter (und Menschen) von A nach B zu bringen.

 

Was transportieren wir da eigentlich? 

Natürlich hat die Medaille auch zwei Seiten. Schließlich leistet der Gütertransport einen erheblichen Beitrag zu den Gesamtemissionen, insbesondere weil fossile Brennstoffe immer noch weit verbreitet sind (mehr dazu in einem separaten Blogpost). Der internationale Handel und der weltweite Austausch von Waren und Dienstleistungen spielen eine wichtige Rolle, insbesondere für unserer Grundbedürfnisse. Wenn aber zur Aufgabe der Versorgung mit Grundgütern noch die teils perverse Befriedigung unnötigen Überkonsums hinzukommt, dann wird aus einer ursprünglich wertvollen Funktion eine Aufgabe, die nicht auf das Gemeinwohl ausgerichtet ist, außer der Einzahlung auf das Bruttoinlandsprodukt. Nicht alles, was auf den Straßen, in Containern und in Paketen weltweit zirkuliert, dient der Grundversorgung oder hat einen gesellschaftlichen Wert. Eine Wagenladung Lebensmittel oder eine Wagenladung Einweg-E-Zigaretten (Vapors)? Gut, die Welt ist nicht so schwarz und weiß, wie ich sie mir hier gerade mache, sondern mit zig Grautönen gespickt. Aber ich denke ihr versteht, dass wir uns natürlich mit der Frage beschäftigen müssen, was die Logistik durch die Welt transportiert und welchen gesellschaftlichen Wert das Transportgut als solches hat.  

 

Fazit 

Logistik ist für die Grundversorgung der Menschheit unerlässlich. Die Bedeutung der Logistik ist geschichtlich eindeutig. Dennoch ist sie kaum wahrnehmbar. In den Debatten, in den Löhnen, in der Innovationskraft. Wenn es um die nachhaltige Transformation außerhalb der Dekarbonisierung der eigenen Branche geht, so ist die Logistik in Summe weniger Vorreiter und mehr Erfüllungsgehilfe. Wir werden den Wert der Logistik aber gesellschaftlich nicht neu verhandeln. So ehrlich sollten wir sein. Die Frage nach dem Wert der Logistik hilft uns aber zu verstehen und einzuordnen. Und das wiederum hilft uns insbesondere dort, wo wir über die Wichtigkeit von Logistik nachdenken müssen, um beispielsweise eine Circular Economy zu etablieren. Denn heute erfolgt die Logistik noch überwiegend linear als Teil konventioneller Lieferketten. In der Circular Economy verschwinden solche linearen Ströme weitgehend und werden durch vielfältige, komplexe Rück- und Einleitungsströme ersetzt. In einer zirkulären Wirtschaft wird die Logistik als Zentrum zukünftiger Geschäftsmodelle eine wesentliche Rolle spielen. Sie ist quasi der Motor dessen. Aber dazu mehr in einem weiteren Blogpost. 

 

Hast du einen Fehler entdeckt? Dann schreibe mir gerne! Ich bin jederzeit dazu bereit einen Fehler zu korrigieren und darauf hinzuweisen, dass ich etwas korrigiert habe. Ich bin kein ausgebildeter Journalist. Meine Recherchen können nicht so professionell sein wie bei einem Artikel. Neben dem Schreiben eines Blogposts, arbeite ich 40 Stunden regulär bei meinem Arbeitgeber. Ich bitte dies zu berücksichtigen. 

 

Quellen 

  • DVZ (2022) 
  • Jared Diamond “Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed” (2004) 
  • Anders Indset “Das infizierte Denken“ (2021) 

Autor*in

Timo Landener

Timo Landener arbeitet seit mehr als 20 Jahren im logistischen Bereich, hauptsächlich in der Intralogistik. Und seit er angefangen hat, ist viel passiert, und natürlich hat auch er sich weiterentwickelt. Anfangs interessierte er sich (fast) ausschließlich für die Digitalisierung und Automatisierung logistischer Prozesse. Über die Jahre hat er so ziemlich jede Rolle in dieser Hinsicht ausgefüllt. Von Beratung und Systemdesign über Projektmanagement bis hin zu Produktmanagement und Personalmanagement. Seit dem 01.09.2024 ist er bei der Körber als Innovation Manager (+Sustainability) tätig. Über die letzten Jahre hat er zunehmend eine Expertise im Bereich der Nachhaltigkeit und den daraus resultierenden Fragestellungen für die Logistik aufgebaut. Dieses thematisiert er zusammen mit Moritz Petersen als Host des Podcast „Das Gleiche in Grün“.


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